WIEN

Beten und studieren: Islamisten an der Uni
"Dass sie alle Kopftuch tragen, ist mir egal, doch
ihre mangelnden Deutschkenntnisse sind mir nicht
egal", stellt eine Dozentin am Wiener Institut für
Orientalistik fest. Im Vorjahr kamen 30 Hörer an die
Turkologie der Universität Wien. Sie forderten einen
Betraum, die Antwort lautete: Hier wird studiert und
nicht gebetet.

Junge sittenstrenge Islamistinnen, die in Istanbul mit
Kopftuch nicht an die Uni dürfen, finden sich ebenso
bei den Medizinern wie auf der Politikwissenschaft.
Sie weigern sich, eine männliche Leiche zu sezieren,
pflegen Kontakte nur in ihrer Gruppe. Und unter den
Lehrenden fragt man sich, wie sie die
Aufnahmebedingungen, was ihre Deutschkenntnisse
betrifft, erfüllen konnten.

Türkische Studenten gab es an der Wiener Uni immer,
aber nun hat sich eine völlig neue Studentenschicht in
Wien etabliert. Rund 400 Absolventen der islamischen
Imam Hatip Schulen sind inskribiert. Diese türkischen
Schulen sind für Studenten der Islamwissenschaften
eingerichtet. Doch immer mehr Schüler wollen andere
Fächer belegen. In der laizistischen Türkei, die
Religion und Politik in öffentlichen Einrichtungen
klar trennt, stellen sich den verschleierten Mädchen
noch gesetzliche Hürden in den Weg. Während Frankreich
und Deutschland ihren Kurs gegenüber Islamisten
verschärfen, gilt Österreich als ruhiges Pflaster.

Für den überzeugten säkularen Türken Ali Bayraktar,
angehender Politologe, bahnt sich eine brisante
Entwicklung an: "Österreich fördert derart eine
islamistische Elite." Denn mit dem Abschluss einer
anerkannten europäischen Uni in der Tasche kehren sie
in ihre Heimat zurück - nicht aber, um die Ideen einer
modernen Türkei weiterzutragen. Ihre Welt ist die des
politischen Islam.

Für Bayraktar haben die akademischen Pläne seiner
religiösen Landsleute wenig mit Wissenschaft zu tun:
"Ihr Weltbild ist von Dogmen geprägt, was nicht mit
dem Islam vereinbar ist, gilt nicht."

Nach Österreich kommen sie über einen Verein, der sich
um Visum, Wohnung und Inskription kümmert. Ein
österreichischer pensionierter Konsul, selbst zum
Islam übergetreten und mit Verbindungen zur
ägyptischen Muslimbruderschaft, ist der gute Geist für
Behördenwege.

Ex- Kollegen aus dem Außenamt erinnern sich mit
Schaudern des Fundamentalisten, den Ägypten zur
unerwünschten Person erklärt hatte. Doch der enge
Freund der islamischen Gemeinde ist effizient. Der
Verein nahm seine Aktivitäten erst 2003 auf, Hunderte
Koranschüler konnte er bereits nach Österreich holen.
Für eine Stellungnahme war kein Vertreter des Vereins
verfügbar.

Hinter jedem Studenten steht ein reicher
islamistischer Patron zwecks Finanzierung. Die Mädchen
sind in einer Pensionat untergebracht, die
Burschen in Wohngemeinschaften. Sie organisieren
einander ihre Seminararbeiten, die sie im selben
Aufbau und Layout abliefern. Beliebtestes Seminarthema
im Fach "internationale Politik" ist der EU-Beitritt
der Türkei. - Karin Kneissl